Die Kraft guter Gewohnheiten

Im Querschnitt eines Baumstammes zeigen sich ringförmige Schichten im Holz, wobei jeder einzelne Ring anders aussieht, mal kräftig und rund, mal schmal und eng. Die sogenannten Jahresringe verraten uns somit nicht nur das Alter des Baumes, sondern geben durch ihre Form auch deutlich zu erkennen, wann es für das Holzgewächs gute Entwicklungsmöglichkeiten gab und wann die Wachstums-bedingungen eher schlecht waren. Ähnlich wie der Baum erfährt auch der Mensch ein zyklisches Wachstum und im Folgenden soll es um die Fragestellung gehen, wie es uns sinnbildlich gelingen kann, Jahr um Jahr breite und kräftige Ringe zu bilden. Wie der Baum aus seiner Mitte heraus wächst ist gemäß der Yoga-Philosophie auch dem Menschen ein innerer Kern zu eigen,  dessen Stabilität und Unveränderlichkeit eine optimale Entfaltung ermöglicht.

Gute Gewohnheiten zu Bilden ist ein möglicher Weg um die körperliche und mentale Gesundheit dauerhaft zu stärken.  Routinen geben dem Leben Rhythmus und Struktur und können in unruhigen oder ängstlichen Zeiten Ruhe, Stabilität und Sicherheit vermitteln.

Doch was ist überhaupt der Unterschied zwischen Gewohnheit, Routine und Ritual?

Etwa 43% der Handlungen finden in Wiederholung statt, es lohnt sich wirklich, den Alltag hier einmal gründlich unter die Lupe zu nehmen.
Eingeübte und sich stets wiederholende Abläufe werden als Routine bezeichnet. Es bedarf Konzentration, Absicht und Bemühung um sich eine neue Vorgehensweise anzueignen. In diesem Lernprozess können Routinen immer wieder fallengelassen, unterbrochen und wiederaufgenommen werden. Somit werden nicht alle Routinen zur Gewohnheit.

 

Jedes Verhalten - egal ob positiv, negativ oder neutral - kann zu einer fest verankerten Angewohnheit werden. Dabei spielen weder Alter noch Persönlichkeit eine gewichtige Rolle, denn es gehört gewissermaßen zum Menschen dazu Gewohnheiten zu entwickeln.  
Liegt ihnen eine befreiende Kraft inne, können sie zu einem richtig guten Begleiter werden. Dabei müssen sie nur Anfangs willentlich und konsequent umgesetzt werden, danach laufen die Routinen sehr effizient über das Unterbewusstsein ab.
Ein Ritual ist nach außen nicht zwangsläufig als solches erkennbar und kann durchaus mit einer Gewohnheit einhergehen. Im Unterschied zur Routine hat es allerdings einen hohen individuellen emotionalen Wert. Die Bedeutung kann für eine einzelne Person wichtig sein oder eine ganze Gruppe erreichen. Im letzteren Fall wird die Bindung und der Zusammenhalt gestärkt. Daher tut es häufig so gut Yoga in der Gruppe zu üben. Sehr spannend ist, dass sich ein Ritual mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit mit Erfolg im Außen auswirkt, weil das Gehirn eine kausale Verbindung zwischen einer willkürlichen Handlung und dem dadurch erwünschten Ergebnis herstellt. So dienen Rituale auf der spirituellen Ebene nicht selten als geregelte Wege von dem gegenwärtigen in einen zukünftigen Raum. Im Vordergrund steht die Transformation, gleichzeitig soll in das was jetzt ist und eine Instanz die den Verstand übersteigt in Übereinstimmung kommen.  So ein Zustand kann nicht durch Denken oder Grübeln erreicht werden, sondern beispielsweise durch die intensive Konzentration auf die Atmung und den Körper.  
Eine grundlegende Veränderung ergibt sich demnach, wenn ein vorweggenommenes positives Ziel die Einstellung zu den Erledigungen prägt. Aber auch ganz alltägliche Handlungen können durch achtsame Ausführung eine neue Bedeutung erlangen und mit einer besonderen Qualität aufgeladen werden. Wenn der Alltag und die Lebensumstände sich mit dem Lauf der Zeit verändern, sollten Rituale angepasst und verändert werden.


Wo sind Gewohnheiten verankert?

Im Grunde handelt es sich bei selbstverständlich gewordenen Handlungen um eine Energiesparfunktion des Gehirns. Denn das simple Wiederholen von Tätigkeiten, die in einem bestimmten Kontext Sinn machen und sich als günstig erwiesen haben, wird belohnt. Automatisierte Verhaltensweisen lösen immer gleiche Reaktionen auf körperlicher, mentaler oder emotionaler Ebene aus und es tritt Unbehagen oder Unruhe auf, wenn eine gewohnter Ablauf im Alltag fehlt oder anders ausgeführt wird.
Dadurch wird sozusagen das bewusste System freigehalten, das für aufwändige Prozesse wie Analysen, Planungen, Problemlösungen, Entscheidungen oder Kreativität viel Energie benötigt.


Um neue Verhaltensweisen im Alltag umzusetzen braucht es häufig einen langen Atem. Daher ist es sinnvoll, sich zunächst darüber bewusst zu werden, welche Gewohnheiten  in den Lebensalltag passen und welche Ziele damit in Verbindung stehen. In der Vorbereitung ist das zunächst ein Prozess, der Nachdenken und Willenskraft erfordert. Hierbei ist der präfrontale Kortex aktiv, der für das bewusste Denken, das Lernen  und Üben verantwortlich ist. Eine kreative und vorausschauende Planung ist sehr hilfreich für die Umsetzung.
Gewohnheiten bilden sich nur durch stetige Wiederholung und auch wenn es sich anfangs nicht so anfühlen mag, fühlt es sich je nach Komplexität des Unterfangens irgendwann leicht an. Dabei ist es eigentlich egal, was wir umsetzen wollen, wichtig ist, dass wir es tun! Zur Orientierung können Vorbilder eine wichtige Rolle spielen.


Am Besten verbinden wir das neue gewünschte Verhalten mit bereits bestehenden Gewohnheiten oder legen feste Zeiten und/oder Orte zur Ausführung fest. Es ist absolut hilfreich, sich dabei gute bis bequeme Bedingungen zu schaffen oder zu schauen, welcher ungünstige Einfluss noch beseitigt werden könnte. Grundsätzlich gilt, dass es die Umsetzung so einfach wie nur möglich sein darf! Bei der Frage, was das neue Verhalten leicht macht, sollte auf jeden Fall das Prinzip der Nähe und das Prinzip der Belohnung berücksichtigt werden.
Ein Verhalten kann nur dann zur Gewohnheit werden, wenn es sich angenehm anfühlt. Eine extrinsische (z.B. neue Yogahose) oder intrinsische (z.B. Entspannung nach dem Yoga)  Belohnung während der Handlung oder unmittelbar danach erhöht die Bereitschaft zum erneuten Tun, vor allem, wenn es diesen Effekt nur ab und zu gibt oder noch besser als Überraschungsmoment, in dem die Erwartung noch übertroffen wird. Diese positiven Erfahrungen wirken sogar nach, so dass reale Belohnungen über die Zeit gar nicht mehr erforderlich sind.
Je öfter eine Handlung sich wiederholt, desto mehr Spuren werden im Gehirn hinterlassen. Es kommt zu einer Verschiebung vom präfrontalen Kortex in die Basalganglien, das gewünschte Verhalten läuft im prozeduralen Gedächtnis ab. Hier entkoppeln sich Handlung und Ziel und der  „Autopilot“ übernimmt das Kommando. Bildlich kann der Prozess mit einer Autobahn oder einer schreibgeschützen Datei erklärt werden. Auf der Schnellstraße kommt man zwar blitzschnell voran, kann aber vorerst auch nicht mehr wenden. Ebenso eine geschützte Datei ist nicht mehr so einfach abzuändern. Daher sollte stets gut reflektiert werden, welche Übungen und Rituale sich als günstig erweisen.

 

Meditation als gute Gewohnheit?

 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es sich bei den guten Gewohnheiten weniger um eine Form der Selbstoptimierung handelt, sondern dass sich durch den Einsatz von stärkenden Routinen eine gute Gelegenheit eröffnet, auf der Basis früherer Entwicklungen (‚Jahresringe‘) den Alltag mit bereits bestehenden und/oder neuen Verhaltensweisen zu gestalten, die der Gesundheit zuträglich sind. Die spirituelle Übung ist dabei, ganz im Hier und Jetzt zu sein und aus der Verbindung mit dem inneren Kern das Gute und Kraftvolle in den gewählten Handlungen zu spüren. Desto öfter es gelingt, in die Verbindung mit der inneren Mitte zu kommen und daraus stimmige Entscheidungen zu treffen, desto kräftiger und runder werden die Ringe. Dann stimmen unsere Gewohnheiten mit unseren von Herzen gewünschten Zielen überein.

 

Als Beispiel für eine gute Gewohnheit möchte ich die 3-Minuten-Meditation nach Ursula Lyon vorstellen. Die Innenschau kann dazu genutzt werden um für einen kurzen Moment aus dem Trubel des Alltags auszusteigen, den Atem zu vertiefen und sich ohne große Anstrengung oder Erwartungen für die Tiefgründigkeit des Leben zu öffnen.


3-Minuten-Meditation:
Minute: Wie geht es mir in diesem Moment?
Minute: Wie oft atme ich pro Minute?
Minute: Den Atem entspannen und weit werden lassen.



Quellen:
Psychologie Heute 7/2024: Die Straße der guten Gewohnheiten
Moment by Moment 4/2024: Was sind gute Gewohnheiten? Wie Routinen und Rhythmen unser Wohlbefinden stärken
Trökes, Anna: Anti-Stress Yoga, Herder Verlag 2015